Aug. 14, 2023

Wenn Arbeitswelt und Lehrtätigkeit sich befruchten

Interview mit Daniel: In seinen zwei Jobs dreht sich alles um Design

Unser Kollege Daniel Hunziker geht mit zwei Hüten durchs Leben. Neben seiner Arbeit als User Experience Designer unterrichtet er parallel an der Schule für Gestaltung an zwei Lehrgängen. Wir haben ihn gefragt, wie er den Wechsel zwischen Theorie und Praxis erlebt, wie die beiden Kreise sich befruchten und was ihn dabei beflügelt.

Daniel, du arbeitest in Teilzeit für die YOO - wo und was unterrichtest du nebenberuflich?

Neben meinem 60% Engagement bei der YOO unterrichte ich an zwei Tagen an der Schule für Gestaltung. Es sind die folgenden zwei Klassen:


  • Im dualen Bildungsweg zum EFZ → Interactive Media Design (IMD) (EFZ) Interactive Media Designer EFZ   unterrichte ich das Modul “App Design”, welches die Lernenden (Studierenden) im 3. Lehrjahr absolvieren.
    Den etwa 20-jährigen Berufsleuten fehlt noch einige konzeptionelle Erfahrung. Genau dieses Knowhow versuche ich ihnen zu vermitteln: Das UX-Handwerk und wie man den roten Faden in der Konzeption behält. Zudem bin ich dort auch Experte bei den Lehrabschlussprüfungen (IPA).
  • An der Höheren Fachschule Kommunikationsdesign leite ich den 3-jährigen Diplomlehrgang HF Interaction Design und unterrichte dort auch. Es handelt sich dabei um eine Weiterbildung für Leute aus gestalterischen Berufen. Die Studierenden sind Grafiker, Typografen, Polydesigner oder auch Marketing- oder Kommunikationsfachleute im Alter zwischen Ende 20 und etwa 50 Jahren. Ihnen vermittle ich theoretischen Input (z.B. Design Thinking, Human/ User Centered Design), den Sie für die Umsetzung für Projekte mit Kunden in konkreten Fällen benötigen.


Was macht es aus, auf beiden Seiten zu stehen - einerseits als Lehrperson in der Schule, andererseits als Fachperson in der Geschäftswelt?

Die beiden Tätigkeiten ergänzen sich für mich ideal, weil Lehre und Praxis meiner Meinung nach eine Einheit bilden. Life-time-learning als Stichwort. Ich lerne selber unheimlich viel dazu, jeden Tag und am liebsten im Kontext der täglichen Herausforderungen.

Die Berufsschule entwickelt Praktiker. Es geht nicht primär um die Vermittlung von theoretischem oder gar akademischem Wissen, sondern: Die praktische Erfahrung und die damit zusammenhängenden Prozesse stehen im Mittelpunkt. Hier ist oftmals der Weg zu einer Lösung und die gemachte Erfahrung wichtiger als das Resultat, bspw. ein fertiges Produkt. Es entsteht immer wieder Neues und ist herausfordernd, da es nicht nur um die Vermittlung der theoretischen Inhalte geht, sondern immer auch um den Praxisbezug.

“Die jungen Leute bringen viel Diversität und Denkanstösse mit – und bringen dadurch auch mich weiter.

Im beruflichen Umfeld ist die ganzheitliche Sichtweise im Fokus sowie das People-Centered-Design - oder auf gut Deutsch: Menschzentrierung. Hier geht es auch um die konkrete Anwendung von Theorien und Werkzeugen. Im beruflichen Umfeld steht am Ende immer das Produkt, das geliefert werden muss. Der Weg ist oftmals kostenbedingt sehr pragmatisch und es spielen mehr Abhängigkeiten: Kunden- und Marktseitig. Die Einschränkungen und begrenzten finanziellen Mittel sind eine spannende Herausforderung, die aber unter Umständen die Kreativität einschränken.

Ergibt sich daraus nicht eine schärfere Trennung zwischen Theorie und Praxis? 

Mit der Erfahrung entwickelt sich ein virtuoser Umgang mit beidem. Man weiss, wann welche Methoden eingesetzt werden soll(t)en und hat einen geschärften Blick für das Erkennen von Problemen. So erkennt man zuverlässig gangbare Wege. In vielen Fällen können die Kund:innen nicht genau benennen, was sie benötigen – sonst hätten sie die Lösung ja schon. Es gilt, zuerst genau hinzuhören und versuchen zu verstehen, wie die Situation ist und wo wirklich der Schuh drückt. Das Zitat von Henry Ford nenne ich oft als Beispiel, wie die Leute denken:

Es gibt also eigentlich mehr Parallelen als Unterschiede zwischen Lehrtätigkeit und Agentur-Praxis. An der Schule üben wir vielleicht eher im Lernschwimmbecken und in der Praxis bewegen wir uns im offenen Meer (mit mehr Turbulenzen und ggf. Risiken). 


Das Querschnittsthema in beiden Welten ist die Menschzentrierung (People-Centered-Design) sowie eine holistische Herangehensweise. Auch dies hat in der Lehre mehr Platz als im Projektalltag. 


Wie befruchten sich diese beiden Kreise?

Es ist spannend, Methoden in der Praxis einzusetzen. Einige Konstrukte, wie z.B. das NABC-Hilfsmittel: NABC Need -Approach Benefit Constraints kann man so nicht einem Kunden verkaufen, aber man kann damit das Denken formen.

An der Schule haben wir viel mehr Möglichkeiten, Methoden vertieft anzuwenden. Da profitiert die Praxis in der Agentur davon. Umgekehrt kann ich Praxisbeispiele in die Lehre einbringen. Ich kann sehr beispielhaft – und so denke ich – glaubhaft darlegen, warum gewisse Methoden nicht erfolgreich angewendet werden können/konnten. Erfolgsgeschichten wie auch Learnings aus der Praxis, das sogenannte “Aus dem Nähkästchen plaudern” ist wertvoll, um die Möglichkeiten und Grenzen von Methoden aufzuzeigen. Die Anwendungsfälle sind so unglaublich unterschiedlich. Es ist oft ein Spagat zwischen Lehre und Realität – es entwickelt sich eine Virtuosität daraus, diesen zu überwinden.


Was frustriert dich dabei?

Beispielsweise mit der Methode “Design Thinking” (generisches Lösungsfindungskonstrukt, das theoretisch jedes Problem dieser Welt lösen könnte) eigentlich genau zu wissen, was jetzt das Richtige wäre - aber die Kund:innen sind nicht bereit, diese Elemente zu verwenden, resp. zu finanzieren, oder die Tools werden nicht wirkungsvoll eingesetzt. Vielleicht kannst du dir diese Situation wie folgt: Du bist ein Gesundheitscoach, der eine kränkelnde Person analysiert. Diese Person verlangt von dir einen Rat, wie man gesünder leben kann – selber will sie jedoch weder aufs Rauchen, Trinken, noch auf oppulentes Essen verzichten. Oder mit anderen Worten:

In der pragmatischen Projektpraxis ist es oftmals schwierig, Kunden und Kundinnen davon zu überzeugen, dass sich ein damit verbundener Mehraufwand auch entsprechend lohnen und sogar Mehrwert schaffen würde. Man sucht immer noch zu oft den Weg des geringsten Widerstands und will deshalb Probleme nicht mit der nötigen Gründlichkeit angehen – dies geht auf Kosten einer Nachhaltigkeit, im Sinne länger wirksamer Lösungen, welche auf lange Sicht Kosten sparen würden.

Dabei ist der grösste Widerspruch, dass oftmals das Geld vorhanden ist, etwas zweimal falsch zu machen, aber selten, um es beim ersten Mal richtig zu machen. Diese Diskrepanz zwischen Lehre und Praxis adressiere ich deshalb auch oft, im Sinne der Entwicklung einer Frustrationstoleranz bei meinen Studierenden und Lernenden. 

Trotzdem ist die Welt nicht schwarz oder weiss. Immer mehr Kund:innen lassen sich auf diese nachhaltigeren Weg ein und sind am Ende dankbar, dass wir öfters, und manchmal etwas hartnäckig, gründlich hinterfragen. Gerade in Digitalisierungsprojekten will man heute nicht einfach schnell die günstigste Lösung implementieren sondern versucht, Prozesse gründlich zu verstehen und entsprechend zielgerichtet zu optimieren. 

Was trotzdem immer wieder schön ist: Auch sehr kritische Kund:innen immer wieder weiter zu bringen. Auch kleine (Fort-)Schritte freuen mich sehr (lacht).


Wo setzt du in der Berufsbildung Schwerpunkte?

Die Prinzipien des User Centered Design sind sehr wichtig. “Was ist Design Thinking” werden die Studierenden mitnehmen. Wenn ich sehe, dass die Studierenden dann in der Diplomphase mit dieser Erfahrung bessere Lösungen entwickeln, ohne aber die Methoden einfach nur “schulbuchmässig abzuarbeiten”, freut mich das sehr. Sie haben nach den Lehrgängen diese Methode erlebt, sie verstehen sie und wissen um ihre Vorteile.  Ich weiss nicht, ob die Leute besser werden, jedoch erfüllt es mich mit Begeisterung, wenn ich sehe, dass die Schüler:innen verstehen, dass sie das Konzept auf alles Mögliche anwenden könn(t)en.

Welche Tools wendest du konkret an?

Wir vermitteln in der Lehre bewusst keine Tools. Diese ändern sich zu schnell und mittlerweile gibt es auch sehr viele unterschiedliche Lösungen. Zudem entscheiden auch persönliche Präferenzen, welches Tool in der Praxis zum Einsatz kommt. Deshalb ist es Sache der Lernenden und Studierenden, sich selber im Tooling weiterzubilden. Für die Entwicklung von Prototypen sind dies etwa Adobe XD, Figma, Sketch, ProtoPie, etc.. Für die Lösungserarbeitung und sogar für ganze Projektdokumentationen kommt immer mehr Miro zum Einsatz. In der Praxis verwenden wir aber auch professionelle Projektmanagement-Tools wie Jira und Confluence, Trello oder Asana. Das Endresultat ist oft ein Wireframe oder ein ausgefeilter Prototyp.

Wann empfindest du es als herausfordernd, beide Jobs zu haben?

Der Wechsel vom Vermittelnden ins Machen ist oft streng. Interessant sind jedoch die Parallelen. In der Agentur braucht es sehr viel Eigeninitiative. Das versuche ich auch in der Schule anzuwenden. D.h. nach einer Stunde Einführung in der Schule sollen die Studierenden “ins Machen” kommen. Viele sind in einer Konsumhaltung und erschrecken, wenn sie selber was tun müssen. Wir versuchen, die Studierenden zu coachen: Nicht nur lernen, sondern selber denken! Das deckt sich in Transformationsprojekten: Wir als Agentur wollen keine Abhängigkeiten schaffen. Wir bieten oft Hilfe zur Selbsthilfe (IT optimieren, Führung coachen und beraten). Wir implementieren gute Lösungen, aber rennen und arbeiten müssen unsere Kund:innen selber.


Wenn in einem Unternehmen Themen wie Mindset, etc. nicht stimmen, kann eine Lösung gar nicht gut funktionieren. Das ist dann oft eher… harzig. Wenn die IT beginnt, nutzerzentriert zu denken (Bedürfnisse, Tooling, Vorgehensweise), dann hat das Auswirkungen auf die Mitarbeitenden und verändert nachhaltig etwas in ihrem Denken.

Wie unterscheiden sich die Aufgabenstellungen in der Agentur mit denjenigen in der Schule?

In die Agentur kommen die Leute oft mit einem diffusen Problem. Es kristallisiert sich dann oft heraus, dass es sich um ein Digitalisierungsproblem handelt. In der Schule geben wir auch eine sehr praxisnahe, aber meist auch offene Aufgabenstellung. In beiden Feldern, gilt es zuerst, die Kundin, den Kunden und deren Bedürfnisse wirklich zu verstehen. Was dann im Requirements Engineering herauskommt, kann sehr vielfältig sein und ist unterschiedlich interpretierbar – genau wie im richtigen Leben. 

Was hat sich in den letzen Jahren verändert?

Es hat sich tatsächlich sehr viel verändert. Digitalisierung ist dabei das Stichwort. Anspruchsgruppen, vom Kunden/ Kundinen bis zu den Usern, betrachten digitale Lösungen nicht mehr isoliert sondern als ein Teil in einem grossen Puzzle. Dabei ist das nahtlose Zusammenspiel aller Entitäten und Prozesse immer wie wichtiger. Es reicht heute nicht mehr, einfach eine Softwarelösung “einzubauen” ohne das Gesamtbild zu berücksichtigen. Das klingt hier einfacher, als es ist in der Praxis dann umsetzbar ist. Aber “seamless digital experience” ist, meiner Meinung nach, das wichtigste Thema für nachhaltige Lösungen in allen Bereichen des privaten und beruflichen Lebens – und eine der grössten Herausforderungen für Organisationen und Individuen. Von solchen ganzheitlichen Ansätzen sind wir im Berufsleben noch oft Lichtjahre entfernt. Oder warum sagt mir denn der Drucker überhaupt, dass ich jetzt nicht drucken kann, weil der Toner fehlt und löst die Bestellung nicht einfach selbständig aus? Aber dazu vielleicht mehr in einem anderen Post ;-) 

Was würdest du jungen Leuten mit auf den Weg geben, die ins Design einsteigen möchten?

Ich denke, die eigene Definition oder Auffassung bezüglich “was Design ist”, spielt eine zentrale Rolle bei der Ausrichtung in kreativen oder insbesondere in digitalen Berufen. 

 

  • Ist für dich eher das “Styling” im Zentrum, also die visuelle Anmutung und die Art und Weise, wie ein Produkt eingesetzt oder genutzt wird? Dies entspricht einer Spezialisierung im Interaction- und Visual Design. 


  • Oder möchtest du eher designen im Sinne des Verbs “to design”, also das Entwickeln und Konzipieren von Lösungen? Das ist dann der digitale Konzepter/ Architekt, Digital Solution Designer, User Experience Designer. 


Die Grenzen sind in der Praxis allerdings alles andere als trennscharf und das ist auch sinnvoll. Eine Interaction Designerin muss Prozessdenken mitbringen, konzeptionell fit sein und ein Gesamterlebnis im Blick behalten. Genauso muss aber die Konzepterin, die eine ganze Erlebnisarchitektur entwickelt auch gekonnt feinste Interaktionsmuster zielführend integrieren können und visuelle Qualitäten erkennen. Als Lehrperson versuche ich dies zu vermitteln und auch gemäss den individuellen Neigungen zu fördern. Die Spezialisierung ergibt sich in der Praxis dann meistens von alleine. 


Was wünschst du dir zukünftig für die Berufsbildung?

Ich wünsche mir

  • Menschen zu befähigen, selbstständig und in Teams, neue eigenständige Lösungen entwickeln zu können, ...
  • ... dies mit einem vernetzten, ganzheitlichen und auf Nachhaltigkeit orientierten Denken und Agieren tun zu können, ...
  • ... angetrieben durch kontinuerliches bedarfsgerechtes Weiterlernen. 


Das geht nur, wenn Bildungsanbieter weg kommen von der reinen Wissensvermittlung und mehr Raum geben für das aktive Erforschen und Erfahrungsammeln (induktives und deduktives Lernen) – weg von vorgefertigten Denk- (und Lösungs-) mustern,  Projekt- und Teamarbeit über Frontalunterricht und Bulimielernen stellend. Ich wünsche mir, dass die jungen Leute eine Chance erhalten, herauszufinden, wie das Entwickeln von Lösungen funktioniert. Ich wünsche mir von der Bildung weiterhin Unterstützung beim “Denken lernen”. Und dass die Lernenden von theoretischen Lösungsansätzen in die Praxis kommen und Dinge virtuos angehen. Auch von der Lösung wieder zum Problem zurück gehen. Den Denkmuskel trainieren.


Vielen Dank, Daniel! In beiden Jobs weiterhin viel Zufriedenheit und alles Gute!

Fotos: YOO

Interview: Kathrin Lindegger

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